Schattenkinder
Die ganze Familie freut sich, als das dritte Kind das Licht der Welt erblickt. In der ersten Zeit fällt ihnen nichts Ungewöhnliches auf, es ist ein sanfter, ausgeglichener Junge. Nach einigen Monaten merken die Eltern, dass er seinen Kopf nicht selber halten kann, sein Blick schweift umher ohne zu sehen. Und damit ändert sich alles für die Familie.
Die beiden Geschwister gehen unterschiedlich damit um. Der grosse Bruder kümmert sich intensiv um den Kleinen und geht ganz in der Fürsorge auf, während die Schwester mit Scham und Wut reagiert, dass dieses hilflose Wesen sie vom Rest der Welt zu trennen scheint. Und immer wieder hat sie das Gefühl, dass sie die Familie retten muss.
Der Jüngste stirbt nach einiger Zeit, Jahre später kommt erneut ein Junge zur Welt, der die Präsenz seines Bruders bei jedem Schritt spürt, den er an seiner Stelle tut.
Die drei Kinder, die im Schatten ihres Brüderchens leben, sind starke Persönlichkeiten, die ihre Situation klar reflektieren und bewusst ihren Weg machen. Trotzdem hadern sie auch immer wieder mit ihrem Schicksal.
"Brüderchen" wird still und ruhig erzählt, geht direkt ins Herz und berührt ungemein. Es steckt viel emotinale Kraft in dieser zarten, zerbrechlichen Familiengeschichte.
Clara Dupont-Monod: Brüderchen Piper Verlag
Düstere Vergangenheit
Millie ist verzweifelt auf der Suche nach einem Job. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis führt sie ein einsames Leben. Sie tut alles, um nicht aufzufallen und will auf keinen Fall, dass jemand etwas über ihre Vergangenheit erfährt. Als sie die Stelle als Haushaltshilfe bekommt, kann sie ihr Glück kaum fassen. Sie zieht in das herrschaftliche Haus von Nina und Andrew Winchester und deren kleine Tochter. Ihr Zimmer ist ganz oben und sehr klein, aber sie darf alles benutzen, was zum Haus gehört.
Kaum ist Millie eingezogen, zeigt die elegante Nina ihr wahres Gesicht. Sie verwüstet das Haus und unterstellt ihr Dinge, die sie nicht getan hat. Dazu kommt die verwöhnte Tochter, die sie von obenherab behandelt. Zum Glück ist da noch der attraktive Andrew, der schützend die Hand über sie hält. Allerdings wächst zusehendes Ninas Eifersucht.
Was treibt Nina an? Hat auch sie etwas zu verbergen?
"Wenn sie wüsste" ist ein Thriller erster Klasse, der bis zum Ende fesselnd bleibt. McFadden spinnt in ihrem düsteren Psychothriller einen genialen Plot voller unvorhersehbarer Wendungen und mit einem Ende, das man nicht erwartet. Toller Lesespass für alle, die blutfreie Hochspannung lieben und die auch mal eine Nacht durchlesen wollen, denn aufhören kann man fast nicht.
Freida McFadden: Wenn sie wüsste Heyne Verlag
Über die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen
Jakob Auber erhält einen Anruf, dass sein Vater Hans nach einem Schlaganfall im Sterben liegt. Seine Mutter hat er bereits als 8-Jähriger bei einem Flugzeugabsturz verloren, der Vater flüchtete damals in Schweigen. Jetzt macht sich der Sohn auf, in sein altes Zuhause an der Mosel. Im Haus seines Vaters findet er unzählige, besprochene Tonbänder mit dessen Stimme - es beginnt eine Reise in die Familiengeschichte und eine Reise zu sich selbst.
Grossvater Theodor Auber ist im Wirtschaftswunder-Deutschland eine schillernde Figur. Mit seinem neu entwickelten Waschpulver erobert er den Markt: Auber macht sauber. Die Familie hat Bedienstete, der Sohn Hans wird vom Chauffeur in die Schule gefahren. Unter unerklärlichen Umständen verliert Theodor später sein ganzes Vermögen, es wird nicht darüber gesprochen.
Jakob gräbt immer tiefer und schlussendlich führt ihn die Spur bis nach Rio de Janeiro, wo er die 90-jährige Bella, Tochter des jüdischen Besitzers der Drogerie, wo sein Grossvater einst begann, aufsucht und erfährt, was hinter dem Aufstieg und Fall des Familienimperiums steckt.
In "Saubere Zeiten" geht es um Väter und Söhne, Schuld und Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und die heilende Kraft der Erinnerung. Die drei-Generationen-Geschichte ist herausragend lebendig erzählt, entwickelt unaufgeregt einen richtigen Sog und ist bestes Lesefutter mit realem Hintergrund. Ein richtig tolles Buch!
Andreas Wunn: Saubere Zeiten Aufbau Verlag
Vom Aufbruch und seinem Ende
1966 in Wien: Robert Simon ist Gelegenheitsarbeiter, vor allem auf dem Karmelitermarkt hilft er überall aus. Die Stadt, die vor 20 Jahren zertrümmert wurde, beginnt wieder zu wachsen, überall entsteht Neues. Auch Robert lässt sich mitreissen und übernimmt eine heruntergekommene Gastwirtschaft und macht daraus sein eigenes Café. Das Angebot ist eher bescheiden, eigentlich ist es kein richtiges Café, aber die Leute aus dem Viertel kommen - und sie bringen ihre Geschichten mit. Manche suchen Gesellschaft, andere hoffen auf die Liebe. Nicht nur die Stadt erneuert sich, auch Simons Leben verwandelt sich.
Autor Robert Seethaler gelingt es, mit wenigen Strichen seine Figuren zum Leben zu erwecken und sie den Lesenden nahe zu bringen. Wie immer in seinen Romanen gehört das Scheitern als zentrale Erfahrung des Lebens dazu, und wie gewohnt geht er behutsam damit um. Er erzählt grosse Geschichten über kleine Leute, über das beständige Werden und Vergehen. Und am liebsten würde man sich ebenfalls in das Café setzen, den Menschen aus dem Viertel zu hören, mit ihnen lachen und weinen, sie trösten und festhalten - ganz einfach an ihrem Leben teilnehmen.
Robert Seethaler: Das Café ohne Namen Claassen Verlag
Jagdfieber
Die junge Bibliothekarin Kaitlyn wird zu einem ungewöhnlichen Kräftemessen eingeladen: Zum Going-Zero-Betatest, einem Projekt der US-Geheimdienste und des Social Media Moguls Cy Baxter. Die zehn Teilnehmenden müssen versuchen, während 30 Tagen unauffindbar zu bleiben. Wem es gelingt, dem winken 3 Millionen Dollar. Getestet wird das hochkomplexe Spionageprogramm FUSION, welches dazu geeignet sein soll, jede beliebige Person aufzuspüren.
Für Baxter ist klar, dass es kein Problem sein wird, die zehn Personen innert weniger Tage aufzuspüren. Es ist fast nicht möglich, keine Spuren zu hinterlassen.
Auf das Kommando "Go Zero" starten die Teilnehmenden und tauchen ab. Jede und jeder hat seine eigene Strategie und Gründe, wieso sie/er dabei ist. Zwei Stunden später beginnt die Jagd durch FUSION.
Ausgerechnet die unscheinbare Kaitlyn beginnt Baxter zunehmend Sorgen zu machen. Ihr unberechenbares Vorgehen können seine brillanten Algorithmen nicht entschlüsseln. Sie verfolgt einen ganz eigenen Plan und es beginnt ein Katz und Maus-Spiel zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz.
"Going Zero" ist hochaktuell und ungemein spannend. Autor Anthony McCarten, der Drehbuchautor ist, besticht durch seine szenische Erzählweise und den guten Sinn für Dramaturgie. Regelmässig wechseln die Perspektiven, so dass wir immer über alle Seiten im Bild sind. Das Jagdfieber packt einen und wir fiebern mit Kaitlyn mit, die sich mutig gegen den Riesen stellt. Spurlos geht die Geschichte nicht an einem vorbei. Immer wieder stellen sich die Fragen: Wieviel Privatspähre gibt es noch? Haben wir die Kontrolle bereits verloren?
Grosse Leseempfehlung!
Anthony McCarten: Going Zero Diogenes Verlag
Sein Glück finden

Ein ungemein menschlicher Roman
Meredith Mags hat seit mehr als drei Jahren ihr Haus nicht verlassen und sich komplett aus der Gesellschaft zurückgezogen. Sie spricht mit niemandem über das Warum, denn eigentlich geht es ihr gut so. Sie arbeitet im Homeoffice, bekommt Besuch von ihrer besten Freundin Sadie, kocht leidenschaftlich und sitzt gerne in ihrem gemütlichen Ohrensessel, wo sie jede Menge Bücher verschlingt, daneben gibt es auch noch Kater Fred, der ihr Gesellschaft leistet.
Sadie bringt regelmässig mit ihren beiden Kindern Leben ins Haus, ist jederzeit zur Stelle, stösst aber auch immer wieder an Grenzen. Meredith leidet an Panikattacken und es stresst sie, wenn jemand unangemeldet vor der Tür steht. Den Kontakt zu ihrer Mutter und ihrer Schwester, mit der sie einst eng verbunden war, hat sie seit ihrem Rückzug ziemlich verloren. Sie freut sich auch nicht besonders, als der sympathische Tom vom Verein "Helfende Hände" bei ihr auftaucht, doch hartnäckig wie er ist, gelingt es ihm nach und nach die Schutzmauer zu durchbrechen und Meredith muss zugeben, dass sie gar nicht so glücklich ist, wie sie vorgibt und nach und nach dringen die unterdrückten Schatten der Vergangenheit ans Tageslicht.
Obwohl viele schwierige Themen, wie etwa psychische und physische Gewalt gegen Kinder, in dieser Geschichte stecken, liest sich das Buch leicht. Erzählt wird in lockeren Stil und immer wieder gibt es humorvolle Einschübe, wird aber nie seicht. Verbundenheit und bedingungslose Freundschaft sind die grossen Themen in diesem Roman und da packt es einen emotional. Herzerwärmend und berührend.
Claire Alexander: Und morgen ein neuer Tag Goldmann Verlag